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Nilotinib und Dasatinib, seit einiger Zeit für die Behandlung der CML nach Versagen oder Unverträglichkeit von Imatinib zugelassen, werden seit etwa zwei Jahren in CML-Studien für einen Einsatz direkt nach Diagnosestellung geprüft. Die offenen Fragen sind hierbei, ob die deutlich potenteren neuen Medikamente nicht nur ein schnelleres Ansprechen, sondern auch langfristig einen Überlebensvorteil ohne erhöhte Nebenwirkungen bieten. Auf ASH wurden nun die 18-Monats-Erstliniendaten von Dasatinib und die 24-Monats-Daten von Nilotinib, jeweils im Vergleich im Imatinib, vorgestellt.

Um die Ergebnisse der beiden von den jeweiligen Unternehmen unterstützten Phase-III-Zulassungsstudien kurz zusammenzufassen: Beide Medikamente erzeugen im Vergleich mit Imatinib deutlich schnellere und tiefere Remissionen, seltener suboptimales Ansprechen und Therapieversagen, weniger Patienten erleiden einen Fortschritt der Erkrankung in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise, und alle drei Medikamente scheinen sicher und gut verträglich zu sein. Einige Unterschiede gibt es aber schon, und direkt vergleichbar sind die Daten aus studientechnischen Gründen trotzdem nicht. Unbeantwortet bleibt auch weiterhin, wie sich die im Vergleich zu Imatinib viel stärkere Hemmwirkung verschiedener körpereigener Signalwege langfristig auswirkt, und welchen Einfluss die deutlich höheren Kosten beider Medikamente auf die Erstattungsbereitschaft der Gesundheitssysteme haben wird.

Nilotinib - 24-Monats-Ergebnisse der ENESTnd-Studie

Dr Tim Hughes aus Adelaide, Australien, präsentierte die 24-Monats-Daten der ENESTnd-Studie. In dieser dreiarmigen Studie wurden Nilotinib 2x300mg/Tag, Nilotinib 2x400mg/Tag und Imatinib 400mg/Tag miteinander verglichen. In jeden der drei Studienarme wurden ca. 280 Patienten nach Diagnosestellung per Zufallsverfahren verteilt. Nach 24 Monaten waren in allen Armen noch mehr als zwei Drittel aller Patienten in der ursprünglichen Therapie. Unter Nilotinib 2x300 verließen 26% die Studie, darunter ein Patient wegen Progression, neun wegen suboptimalem Ansprechen oder Therapieversagen, sechs wegen Nebenwirkungen, und es gab einen CML-bedingten Todesfall. Die Imatinib-Therapie brachen 33% ab, darunter vier wegen Progression, 13 wegen suboptimalem Ansprechen oder Therapieversagen, und fünf aus sonstigen Gründen.

Nach 24 Monaten erreichten 62% aller Patienten unter Nilotinib 2x300/Tag, 59% der Patienten unter Nilotinib 2x400mg/Tag und 37% der Patienten unter Imatinib eine weitgehende molekulare Remission (PCR <0,1%). Der Anteil der Patienten, die unter Nilotinib eine solche Remission erreichten, lag also rund ein Viertel höher als unter Imatinib - und dieser Abstand blieb seit den 12-Monats-Daten unverändert. 26% der Nilotinib 2x300-Patienten und nur 10% der Imatinib-Patienten erreichten eine komplette molekulare Remission (PCR <0,0032%). Nur 0,7% der Patienten unter Nilotinib 2x300, aber 4,2% der Patienten unter Imatinib erlitten einen Fortschritt der Krankheit in akzelerierte Phase oder Blastenkrise. Das progressionsfreie Überleben nach 24 Monaten liegt bei 98% bei Nilotinib 2x300mg und 95,2% bei Imatinib.

Manche Nebenwirkungen waren bei Nilotinib häufiger als bei Imatinib, beispielsweise erhöhte Lipasewerte, Bilirubinwerte, Glukosewerte sowie Hautausschläge (32% bei Nilotinib vs. 13% bei Imatinib), Hautjucken (16% vs 6%) und Kopfschmerzen (14% vs 9%). Dagegen waren Übelkeit, Durchfall, Übergeben, Wassereinlagerungen im Gesicht, um die Augen und im Brustraum sowie Muskelkrämpfe unter Imatinib häufig und traten unter Nilotinib nur selten auf.

Zusammenfassend sagt die Forschergruppe, dass Nilotinib Imatinib überlegen sei und die 24-Monats-Daten den Einsatz in Erstlinie unterstützen.

Dasatinib - 18-Monats-Ergebnisse der DASISION-Studie

Dr. Neil Shah von der Universität von Kalifornien, USA, stellte die 18-Monats-Daten der DASISION-Studie vor. In dieser zweiarmigen Studie wurden 519 Patienten an 108 Kliniken in 26 Ländern per Zufallsverfahren entweder auf Dasatinib 100mg/Tag oder Imatinib 400mg/Tag verteilt. Zum Zeitpunkt des Vortrags erhielten in beiden Armen noch rund 80% der Patienten die ursprüngliche Studientherapie. Innerhalb der 18 Monaten mußten 56% des Dasatinib-Arms und 39% des Imatinib-Arms die Therapie unterbrechen, 25% bzw. 14% reduzierten die Dosierung aufgrund von Nebenwirkungen.
Unter Dasatinib erreichten 78% und unter Imatinib 70% eine komplette zytogenetische Remission, sowie 60% unter Dasatinib und 41% unter Imatinib eine gute molekulare Remission (PCR <0,1%). Einen Fortschritt der Erkrankung in akzelerierte Phase oder Blastenkrise erlitten 2,3% der mit Dasatinib und 3,5% der mit Imatinib behandelten Patienten. Kein Patient, der eine gute molekulare Remission erreichte (PCR <0,1%), erlitt eine Progression. CML-bedingt gab es unter Dasatinib vier und unter Imatinib einen Todesfall.

Flüssigkeitseinlagerungen in der Haut waren unter Imatinib bei 36% der Patienten, unter Dasatinib bei nur 10% zu beobachten. Dagegen erlitten 12% der Patienten unter Dasatinib Pleuraergüsse, d.h. Flüssigkeitseinlagerungen im Bauchraum - eine unter Imatinib nicht auftretende Nebenwirkung. Muskelschmerzen (38% der Patienten unter Imatinib, 22% Dasatinib), Übelkeit (21% Imatinib, 9% Dasatinib), Erbrechen (10% Imatinib, 5% Dasatinib) und Hautausschläge (17% Imatinib, 11% Dasatinib) waren unter Imatinib deutlich häufiger. Durchfall (19%/18%), Fatigue (11%/8%), Kopfschmerzen (10%/12%) wurde bei beiden Medikamenten ungefähr gleich häufig beobachtet.

Pleuraergüsse, d.h. Wassereinlagerungen zwischen Lunge und Zwerchfell, bleiben die problematischste Komplikation von Dasatinib, auch wenn diese nur bei einem kleinen Teil behandlungsbedürftig war. 1.2% der Patienten mußten sich einer Lungenfellpunktion unterziehen, 1,5% mußten die Therape aufgrund dieser Nebenwirkung abbrechen.

Die Studiengruppe kommt zu dem Schluß, dass Dasatinib in Erstlinie auch nach 18 Monaten Beobachtungsdauer die Dasatinib-Therapie schnellere und stärkere Ansprechraten zeige, es nur wenige nebenwirkungsbedingte Therapieabbrüche gebe und die Anzahl der Krankheitsfortschritte geringer als unter Imatinib sei. Daher vermute man im Erstlinieneinsatz bessere Langzeitergebnisse unter Dasatinib als unter Imatinib und empfiehlt es daher für die Behandlung neu diagnostizierter Patienten.

Diskussion

Aus Patientensicht sind die Ergebnisse beider Studien ermutigend und machen Hoffnung, dass neu diagnostizierten CML-Patienten in Kürze drei hochwirksame Optionen zur Verfügung stehen, sobald die erwarteten Erstlinienzulassungen der Arzneimittelbehörden in Europa vorliegen.
Mancher hofft gar darauf, dass die beiden neuen Medikamente vielleicht bei einem signifikanten Anteil der Patienten langfristig so weit zurückdrängen kann, dass auch die verbliebenen CML-Stammzellen aussterben - und so vielleicht für einen Teil der Patienten gar eine Heilung erreicht werden kann. Dies ist jedoch noch gewagte Spekulation (denn unter Imatinib trifft dies bisher nur auf ca. 5% der Patienten zu, wenn man den Ergebnissen der kürzlich in der deutschen Publikumspresse völlig übertrieben dargestellten französischen STIM-Studie glauben darf).

Ob nun das "bewährte Medikament" Imatinib oder die Neuzugänge Dasatinib und Nilotinib die Mittel der Wahl für den einzelnen Patienten sind, kann heute noch nicht klar beantwortet werden - und selbst die erfahrensten CML-Experten waren sich in dieser Frage auf ASH sehr uneinig.
Das geringere Risiko, unter Nilotinib oder Dasatinib eine Resistenz oder einen Krankheitsfortschritt der CML zu erleiden, spräche klar für einen Einsatz der neuen Medikamente gleich zu Beginn. Dies würde dem Ziel folgen, die CML so schnell wie möglich auf ein Minimum zurückzudrängen und auch mutierte Zellen, die vielleicht gegen Imatinib, nicht aber gegen Dasatinib oder Nilotinib resistent sind, früh zu beseitigen. Es gibt bei den Experten einige Verfechter, die aus diesen Gründen für eine möglichst starke einleitende Therapie plädieren. Die deutsche CML-Studiengruppe bereitet als "vielversprechenden Zwischenweg" in diesem Zusammenhang momentan die deutsche CML-Studie 5 vor, die einer wirkungsstarken Einleitungstherapie mit Nilotinib (mit/ohne Interferon) nach Erreichen einer guten Remission eine weniger intensive Erhaltungstherapie mit Interferon folgen lässt - mit dem Ziel, den Einsatz des starken Nilotinibs auf die Zeit bis zur guten Remission zu beschränken und im Falle nicht meßbarer Resterkrankung sogar eventuell alle Therapien absetzen zu können.

Manche Experten stehen jedoch den stärkeren Zweitgenerationsmedikamenten Nilotinib und Dasatinib im Erstlinieneinsatz kritischer gegenüber und setzen eher auf eine konservative Strategie, Imatinib als bewährte Erstlinientherapie einzusetzen und nur bei Resistenz oder Unverträglichkeit zu schärferen Waffen zu greifen. Argumente hierfür nähren sich aus den Nebenwirkungen: Zwar erleidet nur ein kleinerer Teil der Patienten unter Dasatinib Pleuraergüsse, aber für die betroffenen Patienten haben diese unangenehme Konsequenzen. Zudem gibt es Bedenken, dass Dasatinib neben BCR-ABL noch weitere Signalwege (z.B. die SRC-Kinase) stark hemmt - langfristige Auswirkungen sind heute noch nicht klar. Unter Nilotinib gibt es weder Pleuraergüsse noch werden andere Signalwege sehr stark gehemmt - jedoch gibt es Bedenken bezüglich der häufigen Beobachtung erhöhter Leber-, Bilirubin-, Blutzucker- und Lipasewerte - und ob sich diese nach Absetzen vollständig zurückbilden. Zudem gibt es kritische Stimme bezüglich der langfristigen Lebensqualitätsbelastung durch die zweimal tägliche Einnahme von Nilotinib samt zweimal täglich dreistündiger Fastenperioden - ein nicht-medizinischer, aber für manche Patienten doch bedeutender Nachteil gegenüber Imatinib.

Spannend bleiben in dem Zusammenhang andere, nicht zu vernachlässigende Optionen. Bosutinib, ebenfalls ein BCR-ABL-Hemmer, dessen Phase-III-Daten auf ASH vorgestellt wurden, erscheint zwar auf den ersten Blick wegen starken Nebenwirkungen des Verdauungstrakts in den ersten Wochen weniger attraktiv, könnte aber mittelfristig aufgrund seiner stärkeren Konzentration auf die BCR-ABL-Kinase interessant werden, weil er andere Signalwege weniger hemmt als die Imatinib, Nilotinib und Dasatinib. Das Medikament ist jedoch noch 1-2 Jahre von einer möglichen Marktzulassung entfernt und ist nur in Studien verfügbar. Zudem ist weiterhin Interferon als Erhaltungstherapie eine interessante Option, auch wenn auf diesem ASH keine neuen Ergebnisse hierzu vorgestellt wurden. Und letztlich wird auch die ökonomische Diskussion spannend werden - zumindest zum aktuellen Stand wären die neuen Medikamente rund 50%-100% teurer als Imatinib, dessen Patent zudem 2016 ausläuft.

Aus Patientensicht sind die neuen Erkenntnisse aus den Studien auf jeden Fall sehr gut - in nur wenigen anderen Krebsarten stehen drei hochwirksame Therapien in Erstlinie zur Verfügung, die für den größten Teil der Patienten ein langes und normales Leben mit einer gut kontrollierten chronischen Krebserkrankung ermöglichen dürften. Hinzu kommt für den CML-Patienten 2010 nun lediglich die "Qual der Wahl", sich zwischen drei Medikamenten, d.h. Ungewissheit und Bewährtem zu entscheiden. Die Statistik gilt leider immer nur für die Gruppe und nie für den Einzelnen, so dass weder Arzt noch Patient vorhersehen können, ob die individuelle Wahl den Erwartungen entsprechen wird.


Quellen: Präsentationen zu den ENESTnd-, DASISION- und Bosutinib-Studien auf ASH 2010 in Orlando, Gespräche mit CML-Experten auf den Gängen, und persönliche Interpretation von Jan. Alle Angaben ohne Gewähr und aus Sicht eines informierten Laien.

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Margarete
ASH: Wettrennen von Nilotinib und Dasatinib auf dem Weg zur Erstlinientherapie
Hallo Jan,

diesen Artikel finde ich wirklich gut, weil er verschiedene Gesichtspunkte aufzeigt, die die Jubeltöne einer eindeutigen Überlegenhe it von Nilotinib und Dasatinib gegenüber Imatinib doch etwas relativieren, Fragen von Lebensqualität, Compliance, Nebenwirkungen aus Betroffenensich t berücksichtigt .

Ich war auf dem Wrap-Up ASH 2010 in Wien vorige Woche, wo es auch ein Referat über Nilotinib/Dasatinib/Imatinib gab, in dem solch differenzierend e Anmerkungen nicht gemacht wurden. Danke.

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Marc
Hallo Jan,

danke für die wirklich spannenden und Hoffnung weckenden Berichte direkt von der ASH.
So gut wurden wir noch nie Live informiert.

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