Die Entdeckung des Wirkstoffs Imatinib und der bemerkenswerte Erfolg des Medikaments Glivec in der Behandlung von chronischer myeloischer Leukämie (CML) hat die Forschung über neue Behandlungsmethoden und Behandlungsoptimierungen stark beflügelt. Forscher und Mediziner suchen nun nach noch stärker wirksamen Therapieoptionen.

Insbesondere für den kleinen Teil der CML-Patienten, die auf Glivec nur ungenügend ansprechen, die das Medikament nicht vertragen oder bei denen es aufgrund zusätzlicher genetischer Veränderungen nicht mehr wirkt, könnten vielleicht manche dieser Wirkstoffe in Kombination mit Glivec hilfreich werden. 

Manche der bedeutenderen neuen Wirkstoffe und Kombinationen, die gegenwärtig hauptsächlich in den USA an Patientengruppen in klinischen Studien untersucht werden und denen man sich Chancen in der CML-Therapie erhofft, sind folgende:

  1. Farnesyl-Transferase-Hemmer (Farnesyl Transferase Inhibitors, FTI) hemmen das Krebsgen (Onkogen) Ras. Bei Ras handelt es sich um ein spezielles Protein, das als eine Art zentraler Schalter das Entstehen neuer Zellen über die Zellteilung regelt. Tumorzellen besitzen im Gegensatz zu normalen Zellen erhöhte Ras-Aktivität. Aufgrund einer bestimmten Mutation im Ras-Protein kann der Schalter nicht mehr abgeschaltet werden. Das aktive Ras macht Tumorzellen quasi unsterblich im Gegensatz zu normalen Zellen, die auch im Reagenzglas altern, und läßt sie sich unbegrenzt teilen.

    Kürzlich konnte in Laborversuchen nachgewiesen werden, dass der FTI-Wirkstoff Lonafarnib (Arbeitsname SCH66336 von Schering) Imatinib-resistente BCR-ABL-positive Zelllinien hemmen kann. In den USA werden daher zur Zeit klinische Phase-I-Studien mit des FTIs Lonafarnib und Zarnestrar durchgeführt.

  2. Antisense-Wirkstoffe wie Oblimersen (Genasense) hemmen das Protein Bcl-2, das in Krebszellen in erhöhter Menge produziert wird und das einen durch Chemotherapie ausgelösten Zelltod verhindert (Chemotherapie-Resistenz). Durch die via Antisense-Wirkstoff erfolgte Deaktivierung von Bcl-2 reagieren Krebszellen wieder auf eine zeitgleich angewendete Chemotherapie und sterben ab. Klinische Studien mit Oblimersen (Genasense) werden momentan an verschiedenen Zentren in den USA durchgeführt bzw. teilnehmende Patienten gesucht.

  3. Proteasome-Hemmer wie Velcade (PS-341, auch Bortezomib genannt) unterstützen den Zelltod (Apoptose) von Krebszellen, indem sie bestimmte für die Zellteilung von Krebszellen wichtige Proteine blockieren. Eine Phase I/Phase II-Studie mit Velcade für CML wird momentan in den USA durchgeführt.

  4. Homoharringtonine (HHT) ist ein Pflanzenalkaloid, das das Niveau des BCR-ABL-Proteins in den CML-Krebszellen reduziert. Im Labor hat HHT in Kombination mit Glivec synergetische Wirkungen gezeigt. Kombinationsstudien mit HHT und Glivec sind geplant; zur Zeit läuft in den USA eine Phase-II Studie mit intravenösem HHT.

  5. Vaccines/Impftherapie: Sogenannte Stress-Proteine werden meistens als "Hitzeschockproteine" oder kurz "HSP" bezeichnet und treten bei Zellen nicht nur nach Hitzeeinwirkung, sondern auch als Abwehrreaktion auf andere plötzliche Veränderungen auf. In Bezug auf Krebstherapie besitzen Stress-Proteine die interessante Eigenschaft, dass beim einzelnen Patienten aus Tumorzellen isolierte HSP bei Rückgabe in den Körper eine für diesen Tumor spezifische Immunantwort der T-Zell-Lyphozyten auslösen können. Man vermutet hierbei, dass mit den entnommenen HSPs auch daran gebundene tumorspezifische Strukturen isoliert werden. Wegen der hohen Vielfältigkeit der Tumore bilden die HSPs und die daran gebundenen "unnormalen" Proteine quasi einen Fingerabdruck für den jeweiligen Tumor. Zurück in den Patienten injiziert, senden sie ein exaktes Warnsignal, das die Immunabwehr zur Vernichtung genau dieser Tumorzellen (CML-Zellen) stimuliert. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage für neue therapeutische Strategien gegen menschliche Tumore mit HSPs als Vaccine, also einer Art Impfstoff. 

    Für eine multizentrische Phase-II-Studie mit der Kombination von HSP-70 (Wirkstoff AG-858 von Antigenics) und Glivec werden momentan in den USA Teilnehmer rekrutiert.

    17-Allylamino-Geldanamycin (17-AAG) ist ein anderer HSP-basierter 'Impfstoff', der an zwei US-Zentren im Rahmen von Studien untersucht wird. 17-AAG band in Laborversuchen als Hemmstoff an HSP-90 und reduziert damit die Aktivität von BCR-ABL bei CML-Zell-Linien. Außerdem könnte 17-AAG auch bei BCR-ABL-Mutationen wie den bisher entdeckten Mutationen E255K und T315I wirken, die zu einer Resistenz gegen Glivec führen. 17-AAG ist z.B. in Erprobung am Sloan-Kettering Cancer Center in New York, USA.

  6. Interferon: Eine randomisierte Studie, die höher dosiertes Glivec in Monotherapie mit einer Kombination von Glivec und pegyliertem Interferon (Peg-IFN) sowie GM-CSF (myeloischer Wachstumsfaktor) vergleicht, befindet sich momentan in den USA in Vorbereitung. In Deutschland läuft bereits seit einiger Zeit eine randomisierte langfristige Studie, die Glivec, Interferon und die Glivec-Interferon-Kombination vergleicht (CML-Studie IV). Diese Studie nimmt noch neu diagnostizierte Patienten auf; weitere Kombinationsstudien befinden sich in Vorbereitung.

  7. Decitabine ändert den Prozess der Genmethylierung, die eine kritische Komponente im Wachstum von Krebszellen ist. Im Körper vorhandenene Tumorsuppressor-Gene werden im Rahmen der Erkrankung mit einer Methylgruppe ausgeschaltet und ermöglichen es dem Tumor zu wachsen. Decitabine hemmt diese Methylierung, reaktiviert die Tumorsuppressor-Gene wieder und hält so das Wachstum des Tumors auf.
    Decitabine wird in den USA in verschiedenen Studien an CML-Patienten in allen Krankheitsphasen getestet. Dabei werden sowohl Monotherapien als auch Kombinationen mit Glivec erprobt.

  8. Arsentrioxid (AS203, Trisenox) führte in Laboruntersuchungen den programmierten Zelltod von CML-Zellen herbei. Laboruntersuchungen zeigten auch, dass die apoptotische Aktivität von Imatinib durch Trisenox verbessert wurde. Im Labor wurde additive und synergistische antiproliferative Aktivitäten einer Kombination von Imatinib mit Trisenox auf CML-Zell-Linien beachtet. An der OHSU (USA) laufen Phase-I/II-Studien der Trisenox/Glivec-Kombination.

Diese Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Bitte beachten, dass sich die beschriebenen Wirkstoffe noch in frühen Phasen der Erprobung befinden und sich im Rahmen der Studien noch als wirkungslos oder zu nebenwirkungsreich erweisen können. Nähere Informationen zu laufenden oder in Vorbereitung befindlichen US-Studien befinden sich auf der Studien-Informationsseite des US-Gesundheitsministeriums.

Für Fragen und Diskussionen zu diesem Text siehe unser Diskussionsforum Neue Therapieformen.

Quelle: eigene Recherche, ClinicalTrials.gov, Yahoo-Foren, Websites der teilnehmenden Kliniken, etc.

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