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Wie gemeinsame Entscheidungsfindung und Arzt-Patienten-Kommunikation auf Augenhöhe gelingen kann, welche Vorteile sich daraus ergeben und wo trotz großer Entwicklungen in den vergangenen Jahren nach wie vor Verbesserungspotenzial besteht, das war Thema des BR2-Radiobeitrags „Und wer fragt mich? Wie können Krebskranke mitentscheiden?“ vom 22. Oktober 2021. Teil der dreiköpfigen Expertenrunde war neben dem Medizinsoziologen Fülöp Scheibler und Edith Hersping, Gründerin einer Krebsberatungsstelle sowie mehrerer Selbsthilfegruppen, auch Jan Geißler, Gründer von Leukämie-Online, der seine persönliche Krankheitsgeschichte und Perspektive auf die Thematik in die Diskussion einbrachte.

Moderiert von BR-Redakteurin Jutta Prediger beleuchtete die Diskussionsrunde zwei sich ergänzende Perspektiven auf das sogenannte Shared Decision Making – die gemeinsame Entscheidungsfindung von Patienten- und Arztseite. Zum einen die wissenschaftliche Seite in Person von Fülöp Scheibler, der als Medizinsoziologe mit seinem Team um Eckart von Hirschhausen das Projekt Share to Care vorantreibt, mit dem Ziel, Patient:innen, Ärzt:innen sowie Pflegende dabei zu unterstützen, gemeinsam eine Gesundheitsentscheidung zu treffen, die auf die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt ist. „Wir haben uns die 80 häufigsten und wichtigsten Entscheidungen, vor denen Patienten stehen, nennen lassen und für diese Entscheidungen die internationale Literatur und die klinischen Studien gesucht, systematisch zusammengefasst und Entscheidungshilfen für Patienten formuliert, sodass man die verschiedenen Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen gut verstehen kann“, erklärt Fülöp Scheibler.

Diese Arbeit musste sich Jan Geißler, der als einer von zwei Patientenvertreter:innen der Runde die Perspektive der Betroffenen einbrachte, sich noch selbst machen, als er vor gut 20 Jahren an CML erkrankte und über den Umweg eines singapurischen Internetforums und die Vereinigten Staaten schließlich auf eine Phase-II-Studie in Mannheim stieß. Um anderen Patient:innen den Zugang zu Fachpublikationen, Artikeln und Studien zu CML zu ermöglichen, beschloss er im Anschluss, Leukämie-Online aufzubauen und Mitpatienten diese Informationen ins Deutsche übersetzt auf der Plattform zur Verfügung zu stellen.

Heute sieht er die gemeinsame Entscheidungsfindung deutlich weiter – gerade der Bereich Lebensqualität, etwa Arbeits-, Lebens- und Familienalltag, Sexualität, Fatigue oder Nebenwirkungen, komme im klinischen Alltag und bei Gesundheitsentscheidungen jedoch meist und oftmals aus Zeitgründen nach wie vor zu kurz. Deshalb vertreten er und andere Patientenvertreter:innen die Perspektive und Anliegen der Patientenschaft auf beispielsweise Fachkongressen der Deutschen CML-Allianz. „Dieser Dialog ist unglaublich wichtig – auch für die Ärzteschaft.“

Nach Edith Hersping, vor 40 Jahren selbst mit Brustkrebs diagnostiziert und seither in vielfältiger Weise in der Interessenvertretung von Patient:innen tätig, würden diese auch heutzutage oftmals nicht aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen, Statistiken bloß ab- und vorgelesen und Betroffene in ihrem Schock alleingelassen. Ihr Hoffnung bezüglich neuer Kommunikationsmodelle, wie sie beispielsweise Share to Care vermittelt, liegt vor allem darin, dass diese auch ältere, möglicherweise weniger technikaffine und in krankheitsspezifischen Fragen und der Fachterminologie weniger versierte Patient:innen an die Hand nehmen und in gleicher Weise zur Teilnahme am Prozess zu befähigen.

Das Share to Care-Projekt, das demnächst auch am Klinikum Großhadern/München sowie am Universitätsklinikum Augsburg implementiert werden soll und über ein dreistufiges Kommunikationsmodell vor allem die strukturierte Vermittlung von Behandlungsalternativen sowie deren Vor- und Nachteilen und individuellen Chancen und Risiken zum Ziel hat, kann ein wichtiger Baustein hin zu einer besseren, aufgeklärteren Patientenpartizipation am Entscheidungsprozess sein. Dennoch werden auch Patientenorganisationen und -vertreterinnen weiterhin unabdingbar bleiben und eine gewichtige Rolle dabei spielen, Patient:innen zu stützen und über ihr jeweiliges Krankehitsbild und mögliche Therapien aufzuklären, ihre Belange an Behandelnde und Pflegende heranzutragen und sie dazu befähigen, als aufgeklärte, ebenbürtige Partner am Entscheidungsprozess zu ihrer Behandlung teilzunehmen.

Den kompletten Radiobeitrag findet Ihr nun hier in der BR-Mediathek.