Erst nach massiver Kritik von Experten hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) angekündigt, den Vorbericht zur
Stammzelltherapie bei Leukämien zu überarbeiten. Professor Gerhard Ehninger von der Uniklinik in Dresden, der an der Anhörung zum Vorbericht teilgenommen hatte, befürchtet allerdings, daß künftig Fachleute immer weniger gehört werden, wie er im Gespräch mit Peter Leiner von der "Ärzte Zeitung" sagte. "In allen 40 abgegebenen Stellungnahmen der Fachleute wurde die Arbeit des IQWiG kritisiert und als fachlich falsch angesehen."
Interview der Ärzte Zeitung mit Prof. Gerhard Ehninger, Universitätsklinik "Carl Gustav Carus" in Dresden:
Ärzte Zeitung: Sind Sie zufrieden mit dem Ausgang der Anhörung zum Vorbericht beim IQWiG und damit, daß das Institut nun den Bericht ändern wird?
Professor Gerhard Ehninger: Die Überarbeitung und Vorlage eines neuen Vorberichtes zu Leukämien war die einzig mögliche Konsequenz auf die massive Kritik von über 40 Experten. In schriftlichen Stellungnahmen und bei der mündlichen Anhörung wurden schwere methodische Mängel und Fehler im Bericht aufgedeckt. Zufrieden kann man erst sein, wenn im zweiten Vorbericht diese Fehler korrigiert sind.
Ärzte Zeitung: Gab es unter Ihren Gesprächspartnern beim Institut IQWiG auch Onkologen und
Hämatologen?
Ehninger: Die erste Literatursichtung war durch einen
Hämatologen durchgeführt worden. Der vorläufige Bericht war aber durch IQWiG-Mitarbeiter abschließend verfaßt worden und stellt deren Meinung dar. Unter ihnen befand sich weder ein
Hämatologe noch ein Onkologe.
Ärzte Zeitung: Das IQWiG weist die Kritik der Fachgesellschaften, es gebe schwere methodische Mängel und Fehler im Vorbericht, zurück? Was sagen Sie dazu?
Ehninger: Wenn es die nicht gäbe, dann hätte man nicht zugesagt, einen neuen Bericht zu erstellen. Kritikpunkt am IQWiG war, daß die unterschiedlichen Schweregrade der
akuten Leukämieformen nicht berücksichtigt wurden. Veröffentlichte Daten wurden falsch ausgewertet oder zitiert, andere wichtige überhaupt nicht berücksichtigt. Eine wichtige statistische Methode des indirekten Vergleiches von Therapien wurde nicht eingesetzt; damit wäre auf Grund der vorhandenen Daten klar geworden, daß mit der
Transplantation von Fremdspender-
Stammzellen die gleichen - oder teilweise bessere - Ergebnisse wie mit Zellen eines Familienangehörigen erreicht werden.
Seit Jahren ist aber schon bekannt, daß diese Transplantationsform bei Hochrisiko-Leukämien der
Chemotherapie überlegen ist. Damit nicht genug: Das IQWiG erkannte zwar, daß die Transplantationsform mit Reduktion der vorausgehenden
Chemotherapie (dosisreduzierte Konditionierung) gleiche Therapie-Ergebnisse erzielt. Vollkommen unverständlich verwarf es aber dann diese Therapie, obwohl es bei älteren Patienten und nach schweren Vor- oder Begleiterkrankungen gar keine andere Alternative gibt! Entweder dies ist nur ein Denkfehler oder eine pseudowissenschaftliche Begründung von Rationierungsmaßnahmen. Kein Wunder, daß der Kollege, der die Literatur bewertet hatte, sich von den Schlußfolgerungen des IQWiG distanziert!
Ärzte Zeitung: Und was halten Sie davon, daß nationale Fachgesellschaften bei der Erstellung des Vorberichts nicht befragt wurden?
Ehninger: Vollkommen unverständlich war für die Experten, daß trotz entsprechender Beauftragung durch den Gemeinsamen Bundesausschuß die nationalen Fachgesellschaften und Studiengruppen, die weltweit eine führende Rolle einnehmen, nicht vom IQWiG bei der Erstellung des Vorberichtes befragt wurden. Bei der Anhörung wurde deutlich, daß dort weitere zur Veröffentlichung anstehende Erkenntnisse vorliegen. Das IQWiG schiebt nach Pressemitteilungen nun den Schwarzen Peter den deutschen Fachleuten zu, die angeblich erst jetzt bislang unveröffentlichte Studienergebnisse zugänglich machen wollten. Dies kann nur als Ablenkungsmanöver aufgefaßt werden, da sie vom IQWiG laut Auftrag hätten befragt werden müssen.
Ärzte Zeitung: Der IQWiG-Leiter, Professor Peter Sawicki, - so heißt es in den Medien - vermutet eine Kampagne der Fachgesellschaften gegen das Institut. Dieses wirft der DGHO vor, die wissenschaftliche Diskussion im Vorfeld über die Medien mit unzutreffenden Vorwürfen belastet zu haben. Wie sehen Sie das?
Ehninger: In allen 40 abgegebenen Stellungnahmen der Fachleute wurde die Arbeit des IQWiG kritisiert und als fachlich falsch angesehen. Noch nie haben so viele beim Hearing teilgenommen. Die DGHO hat nach der Veröffentlichung des Vorberichtes Stellung bezogen; es ist eine Aufgabe einer Fachgesellschaft, den aktuellen Stand des Wissens zu vertreten.
Ärzte Zeitung: Einerseits hat den onkologischen Fachgesellschaften zufolge das IQWiG für seinen Vorbericht nur 51 von mehr als 5200 Studien zum Thema ausgewertet. Andererseits sollen bis jetzt noch unveröffentlichte Studiendaten für die Modifikation des Vorberichts nachgereicht werden. Wessen Aufgabe ist es eigentlich, die für den Bericht auszuwertenden Daten zu besorgen?
Ehninger: Die Literaturrecherche ist Aufgabe des IQWiG. Das Institut hat es aber entgegen dem Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses unterlassen, den Stand des Wissens bei Fachleuten und Studiengruppen zu eruieren. Wenn nur ein Prozent der Leukämie-Literatur für das IQWiG relevant ist, dann hätte man einen systematischen Fehler im Ansatz erkennen können. Oder die Literatur ist wirklich schlecht. Bei den ausgeschlossenen Literaturstellen handelt es sich aber auch um solche aus Top-Journalen wie "New England Journal of Medicine" und "Blood" oder von führenden internationalen Experten.
Ärzte Zeitung: Der Vorbericht soll jetzt ergänzt und überarbeitet werden. Wie geht es dann weiter? Wird es eine weitere Anhörung geben?
Ehninger: Es wurde uns zugesagt, daß ein 2. Vorbericht verfaßt wird und eine erneute Anhörung stattfindet.
Ärzte Zeitung: Wird der Teilerfolg Ihrer Anstrengungen auch Auswirkungen auf künftige Berichte des Instituts haben?
Ehninger: Das hoffe ich. Da aber das deutsche Medizinsystem Richtung Staatsmedizin läuft, werden die Fachleute immer weniger gehört werden. In den aktuellen Änderungsvorschlä
gen zum Transfusions- und Transplantationsgesetz übernimmt das Bundesministerium für Gesundheit die Festlegung des medizinischen Wissensstandes. Die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer wurde gestrichen!
Ärzte Zeitung: Empfinden Sie den Ausgang der Anhörung als so etwas wie einen Sieg über das IQWiG?
Ehninger: Wir bemühen uns um einen sachgerechten Bericht, und auf dem Weg dort hin werden wir uns weiterhin einbringen. Schon hat das IQWiG einen weiteren Vorbericht zum Knochenmarkversagen vorgelegt. Dieser ist noch abwegiger als der zu Leukämien. Sie sehen, wir haben noch viel Arbeit.
Zur PersonProfessor Gerhard Ehninger ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). Er leitet die Medizinische Klinik und Poliklinik I des Universitätsklinikums "Carl Gustav Carus" in Dresden. Der Onkologe war bei der Anhörung zum Vorbericht über
Stammzelltherapie bei Leukämie dabei. Bei dieser Gelegenheit betont er, das IQWiG müsse seine methodische Grundlage überdenken und einzelnen Fragestellungen anpassen.
Begleiterkrankung
Beschwerden oder Erkrankung(en), die zusätzlich und gleichzeitig zur Haupterkrankung auftreten, oder die Auswirkung solcher zusätzlichen Beschwerden oder Erkrankungen.
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Chemotherapie
Wird häufig mit Zytostatikabehandlung gleichgesetzt. Unter Chemotherapie versteht man aber auch die Behandlung mit Antibiotika. Zytostatika sind Medikamente, die die Zellvermehrung oder das Zellwachstum hemmen.
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
Knochenmark
Das Innere der großen Knochen - vor allem des Hüftknochens und des Oberschenkels. Dort werden die Blut- und Immunzellen gebildet. Das Knochenmark bildet sich ständig neu.
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
Onko
Bestandteil der Begriffe Onkologie (Wissenschaft und Lehre von den Krebserkrankungen)
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
MDS
Das Myelodysplastische Syndrom (MDS) bildet eine grosse Gruppe erworbener klonaler Knochenmarkskrankheiten, die durch ein zunehmendes Versagen der Knochenmarksfunktion gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zur aplastischen Anämie ist das Knochenmark zellreich. Da jedoch die Blutbildung (Hämatopoese) ineffektiv ist, kommt es zur peripheren Panzytopenie.
DLI
Gabe von Spenderlymphozyten nach rezidivierter allogener Stammzelltransplantation (DLI = Donor Lymphocyte Infusion)
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
GUS
ß-Glucuronidase ist ein Enzym
ELN
Das Europäische Leukämie Netz ist eine von der EU finanzierte Organisation bestehend aus Medizinern, Wissenschaftlern und Patienten aus dem Leukämie-Bereich, das zum Ziel hat, die Behandlung von Leukämie-Erkrankungen zu verbessern, Wissen zu generieren und dieses Wissen in Europa zu verbreiten.
Stammzelltherapien
Meist ist der Ersatz der Knochenmarkfunktion im Rahmen von Krebsbehandlungen gemeint. Bei hochdosierten Chemotherapien, mit dem Ziel der Zerstörung aller Krebszellen, wird als Nebenwirkung auch das Knochenmark geschädigt. Störungen der Blutbildung sind die Folge, die eventuell auch zum Tod des Patienten führen können. Durch die rechtzeitige, geplante Transplantation von Blutstammzellen, wird die Funktion ersetzt. Stammzellen für andere Organe, z.B. Leber, Herzmuskel, Nervengewebe, können in speziellen Laboren zu Zellverbänden gezüchtet werden. Diese können dann dem Patienten zum Ersatz der durch Krankheit zerstörten Gewebe transplantiert werden (derzeit noch experimentell).
sequenzieren
Bestimmen der Reihenfolge von Nucleotiden.
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
Onko
Bestandteil der Begriffe Onkologie (Wissenschaft und Lehre von den Krebserkrankungen)
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
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