Das "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" (IQWiG) hat am 30.06.2006 seinen Vorbericht zur Stammzelltransplantation bei Akuten Leukämien veröffentlicht. Nach diesem Bericht sei eine Stammzelltransplantation bei Erwachsenen mit einer Akuten Leukämie abzulehnen und die konventionelle Chemotherapie als Behandlung vorzuziehen. Das Institut von Prof. Peter Sawicki widerspricht damit dem weltweiten Standard. "Was für alle Leukämiepatienten weltweit möglich ist, will Sawicki bald in Deutschland verbieten", so Prof. Gerhard Ehninger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) anlässlich einer Pressekonferenz in Berlin.

Nach Ansicht der DGHO wird der Vorbericht des IQWiG zur Stammzelltransplantation der biologischen Heterogenität der Akuten Lymphatischen und der Akuten Myeloischen Leukämien nicht gerecht. Die Biologie der jeweiligen Leukämie hat jedoch eine große Bedeutung für den Verlauf der Krankheit, die Behandlungsmöglichkeiten und die Prognose. "Die gravierenden Fehleinschätzungen des IQWiG zur Stammzelltransplantation gespendeter Blutstammzellen dokumentiert das Scheitern des Instituts an seinem selbst erhobenen Ziel, Behandlungsmethoden umfassend bewerten zu können. Das Fazit des IQWiG, die Chemotherapie sei bei Akuten Leukämien der Stammzelltransplantation vorzuziehen, ist grundsätzlich falsch und zeugt von höchster Ahnungslosigkeit und Ignoranz.", sagte Prof. Gerhard Ehninger. Prof. Rainer Storb, Mitarbeiter des Nobelpreisträger von 1990 und früheren Leiters des Transplantationszentrums in Seattle E.D. Thomas, kommentierte den Bericht lapidar: "The conclusion is wrong". E.D. Thomas wurde für seine Entwicklung der Transplantation bei Akuten Leukämien mit dem begehrten Preis ausgezeichnet. "Offensichtlich schätzt sich das IQWiG höher ein als das Nobelpreiskommitee" ergänzt Prof. Gerhard Ehninger.

Für den Vorbericht des IQWiG wurde laut den Fachmedizinern vorhandenes Fachwissen nicht berücksichtigt bzw. unsachgemäß bewertet. So haben Patienten mit einer Akuten Lymphatischen Leukämie mit Hochrisikokonstellation laut anerkannter Studien mit einer konventionellen Chemotherapie praktisch keine Heilungschancen. Auch bei bestimmten Patientengruppen mit Akuter Myeloischer Leukämie konnte das heilende Potential der Stammzelltransplantationen von gespendeten Blutstammzellen nachgewiesen werden. Entsprechende Studien wurden durch das IQWiG nicht berücksichtigt. "Die vom IQWiG gewählten Methoden beruhen nicht auf der Auseinandersetzung mit der Literatur und dem medizinischen Fachwissen, sondern auf dem Ausschluss wissenschaftlicher Erfahrungen von der Bewertung" kritisiert Prof. Mathias Freund, Sekretär und Schatzmeister der DGHO. Auch Anita Waldmann, Vorsitzende der Deutschen Leukämie- und Lymphom-Hilfe, bringt ihren Ärger zum Ausdruck: "Geht es bei der Prüfung des IQWiG wirklich um Qualität oder primär nur um Wirtschaftlichkeit? Viele Patienten leben heute nur noch, weil sie den Mut hatten, eine Transplantation durchführen zu lassen. Zu behaupten, eine Akute Leukämie sei nur mit Chemotherapie heilbar, ist absolut nicht richtig." Zum Nachweis des medizinischen Nutzens der Stammzelltransplantation verlangt das IQWiG vergleichende Studien zur Chemotherapie

DGHO und DLH halten dies für ethisch sehr bedenklich: "Forderungen nach Studien zum Vergleich der Fremdspendertransplantation mit der Chemotherapie, bei denen die Patienten nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Behandlungsmethoden zugeführt werden, sind ethisch unverantwortlich. Kein Patient würde der Zufallseinteilung bei sachlicher Aufklärung zustimmen können. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit zu überleben, nach bisherigem Wissensstand, bei der Stammzelltransplantation 30% höher", erklärt Prof. Mathias Freund. 

Den Patienten in Zukunft eine Stammzelltransplantation zu verweigern, würde der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes widersprechen: Dies hatte in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) festgehalten, dass es bei Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen möglich sein soll, jede vorhandene Möglichkeit auszuschöpfen. Wenn sich der Gemeinsame Bundesausschuss der Position des IQWiG anschließt, befürchten die Vorstände von DGHO und DLH, dass Patienten sich ihre Behandlung in Zukunft vor Gericht erkämpfen müssen. Dazu bleibt aber vielen von ihnen keine Zeit.

Hintergrund

IQWiG: Das IQWiG, "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen", soll wissenschaftliche Bewertungen des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit von Leistungen vornehmen. Im Fall des Vorberichts zur "Stammzelltransplantation bei den Indikatoren Akute Lymphatische Leukämie (ALL) und Akute Myeloische Leukämie (AML) bei Erwachsenen" ging der Auftrag zur Prüfung vom Gemeinsamen Bundesausschuss aus. Der Vorbericht wurde am 30.06.2006 veröffentlicht. Innerhalb von drei Wochen konnte in einer schriftlichen Anhörung zum Vorbericht Stellung bezogen werden.

DLH: Die Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe wurde 1995 gegründet und bildet heute den Bundesverband mit über 80 Selbsthilfeorganisationen zur Unterstützung von Erwachsenen mit Leukämien und Lymphomen. Nach außen vertritt sie die Interessen der ca. 15.000 Betroffenen. 

DGHO: Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie vertritt mehr als 1.900 Ärzte und Wissenschaftler, darunter die überwältigende Mehrheit der Ärzte in Deutschland, die sich mit Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation und der Therapie akuter Leukämien befassen.

Weitere Informationen: Die umfassende Stellungnahme der DGHO zum Vorbericht des IQWiG finden Sie unter:http://www.dgho.de/dgho/pdf/060719_DGHO-Stellungnahme-AML-ALL-IQWIG.pdf.

Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung der DLH und des DGHO vom 25.07.2006

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