Mutationen der BCR-ABL-Kinasedomäne können die Ursache von Resistenzen gegen Tyrosinkinasehemmer  in Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie sein oder zu solchen Resistenzen beitragen. Empfehlungen zur Begründung der Durchführung von BCR-ABL-Mutationsuntersuchungen bei CML wurden von einer Gruppe von Experten des European LeukemiaNet (ELN) und der "European Treatment and Outcome Study" (EUTOS) zusammengestellt.

 

Zusammenfassung des Fachartikels im Journal "Blood": Therapieempfehlungen eines Expertengremiums des European LeukemiaNet zur Mutationsanalyse bei CML unter Therapie mit Tyrosinkinasehemmern

Basierend auf einem kritischen Literaturrückblick und, wo immer nötig, den Erfahrungen der Experten wurden folgende Schlüsselfragen identifiziert und diskutiert:
  1. Wann soll eine Mutationsanalyse durchgeführt werden?
  2. Wie ist die Mutationsanalyse durchzuführen?
  3. Wie sind die Ergebnisse in die klinische Praxis zu übertragen?
Bei Patienten in chronischer Phase, die mit Imatinib als Erstlinientherapie behandelt werden, ist eine Mutationsanalyse nur im Falle eines Therapieversagens oder bei  (entsprechend ELN-Kriterien) suboptimalem Ansprechen erforderlich. In Imatinib-resistenten Patienten, die mit einem alternativen Tyrosinkinasehemmern behandelt werden, ist die Mutationsanalyse im Fall von hämatologischem oder zytogenetischem Therapieversagen, wie bereits provisorisch von der ELN definiert, erforderlich.

Die empfohlene Methode ist die direkte Sequenzierung, obwohl im Vorfeld Screenings mit anderen Techniken wie "Denaturing HPLC" angewandt werden können. In allen Fällen, die in dieser Zusammenfassung beschrieben werden, ist eine nachgewiesene Mutation ein Hinweis für einen Therapiewechsel. Einzelne spezifische Mutationen wirken sich auf die Auswahl des Tyrosinkinasehemmers aus.

Wann sollte nach BCR-ABL-Mutationen gesucht werden?

Die routinemäßige Analyse der BCR-ABL-Kinasedomäne (BCR-ABL-KD) durch eine Mutationsanalyse ist bei neu diagnostizierten Patienten in chronischer Phase nicht angebracht. Umgekehrt kann sie aber in den seltenen Fällen, die sich in der akzelerierten Phase oder in der Blastenkrise befinden, durchgeführt werden. BCR-ABL-KD-Mutationen werden nicht von den Tyrosinkinasehemmern ausgelöst, sondern durch sie selektiert (d.h. nur alle nicht mutierten Zellen werden durch die Therapie verdrängt). Sie entstehen unabhängig und können theoretisch schon vor Therapiebeginn vorliegen. In wie vielen Fällen so etwas tatsächlich vorkommt, muss erst an grossen, nicht durch bestimmte Einschlusskriterien selektierten CML-Patientengruppen untersucht werden.

Bisher ist über Nachweise von Mutationen vor Beginn der Imatinib-Therapie nur in wenigen Fällen mit Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung berichtet worden, in denen eine hohe genetische Instabilität bekannt ist und die Entwicklung zusätzlicher genetischer Abnormalitäten wahrscheinlicher ist. Ein erster Bericht hat das durch Sequenzierung von 4 Patienten in Blastenkrise untersucht, die keinerlei hämatologisches Ansprechen auf Imatinib erreichen konnten. Dort wurde festgestellt, dass Imatinib-resistente Mutationen (T315I und E255K) in zwei Fällen bereits vor Beginn der Imatinib-Therapie nachweisbar waren. Eine andere Studie untersuchte die Häufigkeit der 8 häufigsten BCR-ABL-KD-Mutationen in 66 unselektierten, "Imatinib-naiven" (=von Behandlungsbeginn an mit Imatinib behandelten) Patienten mittels einer hochempfindlichen Technik (allele-specific PCR). Bei keinem der in chronischer Phase befindlichen Patienten wurde eine Mutation festgestellt, während 10 von 27 Patienten in akzelerierter Phase und 5 von 19 Patienten in Blastenkrise positiv auf Mutationen untersucht wurden (obwohl in mehreren Fällen der mutierte Klon nur auf sehr niedrigen Niveau vorhanden war).

Sollten alle mit Imatinib behandelten Patienten unabhängig vom Ansprechen regelmäßig auf BCR-ABL-KD-Mutationen untersucht werden?

Ein regelmäßiges Mutationsmonitoring von Patienten in chronischer Phase ist nicht empfohlen. Das 6-Jahres-Update der IRIS-Studie mit Interferon und Imatinib zeigt, dass 84% der Patienten, die einmal ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen erreichen, dieses nicht wieder verlieren. In Übereinstimmung damit wurden sehr seltene Fälle dokumentiert, bei denen Patienten in vollständiger zytogenetischer Remission eine BCR-ABL-KD-Mutation aufwiesen. Die umfangreichste Studie konnte KD-Mutationen in 6 von 214 (<3%) Patienten in chronischer Phase nachweisen, die vorausschauend sequenziert wurden.

Die Entwicklung einer Mutation sagt den Verlust der vollständigen zytogenetischen Remission voraus; allerdings hatten nur 63% der untersuchten Patienten Imatinib als Erstlinientherapie erhaltenes wurde nicht aufgeschlüsselt, ob und wie viele der Patienten in dieser speziellen Untergruppe Mutationen  aufwiesen und am Ende einen Rückfall erlitten. Jedenfalls ist angesichts der geringen Häufigkeit von solchen Ereignissen bei Patienten in chronischer Phase mit stabilem Ansprechen auf Imatinib eine regelmäßige Mutationsanalyse während der Therapie wertlos.

Sollten Mutationsanalysen nur im Falle des Therapieversagens oder auch bei suboptimalem Ansprechen auf Imatinib durchgeführt werden?

Die Mutationsanalyse ist sowohl im Fall des Therapieversagens als auch im Fall suboptimalen Ansprechens angeraten.

Vom klinischen Standpunkt her bedeutet ein "Therapieversagen", dass die Fortsetzung einer spezifischen Therapie nicht länger angebracht ist, weil ein positiver Ausgang der fortgesetzten Therapie unwahrscheinlich ist. Es wurde geschätzt, dass insgesamt 29% der Patienten in chronischer Phase mit strenggenommenen Therapieversagen unter Imatinib eine BCR-ABL-KD-Mutation aufwiesen, auch wenn Unterschiede in der Häufigkeit von Mutationen über verschiedene Untergruppen des Therapieversagens existieren, in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass Mutationen häufiger bei "erworbener" Resistenz als bei Therapiebeginn vorhandener Resistenz sind.

Suboptimales Ansprechen bedeutet, dass der Patient immer noch einen substantiellen Langzeitnutzen aus der Fortsetzung der Therapie ziehen kann, aber die Chancen eines optimalen Therapieergebnisses reduziert sind. Aus diesem Grund können Patienten mit suboptimalem Ansprechen die Therapie entweder fortsetzen oder für alternative Ansätze einschließlich einer erhöhten Imatinib-Dosis in Frage kommen. Die Autoren sind sich darüber bewusst, dass der Begriff "suboptimales Ansprechen" heterogene Verhältnisse mit unterschiedlichen Ergebnissen einschließt. Dabei haben Patienten mit suboptimalem zytogenetischen  Ansprechen markant schlechtere Aussichten als Patienten mit suboptimalem molekularen Ansprechen.

Insgesamt wurde über BCR-ABL-KD-Mutationen bei 16% der Patienten mit suboptimalem Ansprechen berichtet, wobei es verschiedene Unterkategorien mit unterschiedlichen Mutationshäufigkeiten gibt. Tatsächlich scheinen Mutationen bei Patienten, die keine gute molekulare Remission innerhalb von 18 Monaten erreichen, selten zu sein, obwohl in dieser Hinsicht sehr wenige Daten vorliegen. Trotzdem glauben die Autoren, dass bei jeder Datenlage, bei der über eine alternative Therapie nachgedacht werden muss (wie das bei "suboptimalem Ansprechen" der Fall ist), die Kenntnis des BCR-ABL-KD-Mutationsstatus ein wichtiger Informationsbaustein ist, weil ein positiver Mutationstest entscheidend für die weitere therapeutische Strategie sein kann.

In der Praxis werden Therapieversagen und suboptimales Ansprechen durch Nichterreichen bestimmter Therapiemeilensteine zu spezifischen Zeitpunkten oder durch den Verlust eines bereits vorher erreichten Therapiemeilensteines identifiziert. Basierend auf den aktuellen ELN-Definitionen kann die folgende Grafik dabei  helfen, solche Fälle auf der Grundlage des jeweils erreichten Ansprechens zu ermitteln.

eln-resistenz-diagramm

Sollte eine Mutationsanalyse in Fällen ansteigender BCR-ABL-Transskriptlevels durchgeführt werden? Wenn ja, welcher Anstieg rechtfertigt eine Mutationsanalyse?

Die Expertengruppe befürwortet die Durchführung einer Mutationsanalyse nur, wenn der BCR-ABL-Transskriptanstieg zu einem Verlust der guten molekularen Remission (MMR) geführt hat. Bei Patienten, die sich unter Imatinib in guter molekularer Remission befinden, kann ein Anstieg des mit (RT)-PCR bestimmten BCR-ABL-Transskriptlevels auf eine biologische Veränderung der Empfindlichkeit des Philadelpha-positiven Zellklons gegen Imatinib und damit auf eine sich anbahnende Resistenz hinweisen.

Als Solche betrachten die ELN-Therapieempfehlungen jeden Anstieg des BCR-ABL-Transskriptniveaus als Warnzeichen, das eine strengere und sorgfältigere Überwachung notwendig macht. Andererseits kommen Schwankungen des BCR-ABL-Transskriptlevels ohne klinische Bedeutung, die nichts mit einem Verlust des Ansprechens zu tun haben, nicht selten vor. Bei sehr tiefen Transskriptniveaus können sie auch ein Effekt der Probenentnahme sein.

In letzter Zeit wurden Untersuchungen veröffentlicht, die sich mit der Frage beschäftigen, ob ein Anstieg des BCR-ABL-Transskriptlevels den Verlust der vollständigen zytogenetischen Remission vorhersagen können und auf diese Weise zu früheren und wirksameren therapeutischen Interventionen führen können. Die Ergebnisse waren weit von einer Übereinstimmung mit der klinischen Signifikanz leichter RT-PCR-Anstiege entfernt.

Trotz allem haben sich die zwei folgenden  Gemeinsamkeiten herausgestellt:
  1. Die Notwendigkeit, wenigstens eine Bestätigung der RT-PCR-Ergebnisse an einer unabhängigen Probe einzuholen, oder besser noch, ein Trend des Ansteigens, der aus zwei aufeinander folgenden Anstiegen resultiert; und
  2. Die Beobachtung, dass für diese Fälle, die gleichzeitig die MMR verlieren, eine recht gut reproduzierbare Vorhersage des Verlustes der zytogenetischen Remission möglich ist. Dementsprechend hat die ELN den bestätigten Verlust des guten molekularen Ansprechens (MMR) als Ereignis für ein suboptimales Ansprechen definiert.

Die Autoren erwarten, dass BCR-ABL-KD-Mutationen in einem Teil der Fälle nachweisbar sind, die einen Anstieg des BCR-ABL-Transskriptes aufzeigen. Eine erste Studie zeigte, dass bei einem mehr als zweifachen Anstieg der BCR-ABL-Transskripte bei allen Patienten eine KD-Mutation zu dem Zeitpunkt, oder innerhalb von drei Monaten nach dem ersten Anstieg, vorhanden war. Allerdings konnte diese Beobachtung von einer folgenden unabhängigen Untersuchung nicht bestätigt werden, in der vorgeschlagen wurde, dass ein Anstieg des BCR-ABL-Transskriptlevels  auf mindestens den doppelten Wert oder höher bei mindestens zwei aufeinanderfolgenden Messungen ein verlässlicherer Indikator als ein einzelner Anstieg sei.

Es ist wichtig, festzustellen, dass die Schwankungen der Leistung der in den jeweiligen Labors verwendeten RT-PCR-Assays die generelle Verwendbarkeit dieser Werte begrenzen. Aus allen diesen Gründen ist es vernünftiger, Patienten, die einen Anstieg des BCR-ABL-Transskriptlevels aufzeigen, nur im Falle des Verlustes der MMR zu einer Mutationsanalyse zu raten.

Dasatinib oder Nilotinib in Zweitlinientherapie

Die Tyrosinkinasehemmer der zweiten Generation Dasatinib und Nilotinib sind für die Behandlung von Patienten, die gegen Imatinib resistent sind oder es nicht vertragen, zugelassen. Bei diesen Patienten ist die Gegenwart oder Entstehung von Mutationen, die dafür bekannt sind, weniger sensitiv auf Dasatinib (V299L, T315A, F317L,/V/I/C) oder Nilotinib (E255K/V, Y253H, F359V/C/I) zu reagieren, ein häufiger Grund für Therapieversagen. Insbesondere zeigten in mehreren voneinander unabhängigen Studien Imatinib - resistente Patienten, die bereits eine BCR-ABL-KD-Mutation beherbergen, eine höhere Wahrscheinlichkeit, unter dem Selektionsdruck der neuen Tyrosinkinasehemmer weitere Mutationen zu entwickeln, sei es unter Dasatinib oder unter Nilotinib.

Daten zum klinischen Wert des Mutationsnachweises während der Behandlung mit Tyrosinkinasehemmer der zweiten Generation sind noch nicht ausreichend, um sichere Empfehlungen abgeben zu können. Trotzdem können die Vorschläge der ELN als provisorische Basis dienen, im Falle von hämatologischen oder zytogenetischen Versagen, einschließlich fehlenden zytogenetischen Ansprechens nach 3 Monaten, minimalen zytogenetischen Ansprechens (66%-95% Ph+) nach 6 Monaten oder weniger als partiellen zytogenetischen Ansprechens (>35% Ph+) nach 12 Monaten, eine Mutationsanalyse zu empfehlen. Hämatologisches oder zytogenetisches Versagen kann sowohl durch BCR-ABL-KD-Mutationen verursacht werden als auch von solchen begleitet werden; die Unterscheidung ist von Bedeutung für die Entscheidung, auf einen anderen Tyrosinkinasehemmer zu wechseln oder zur allogenen Stammzelltransplantation zu schreiten.

Dasatinib oder Nilotinib in Erstlinientherapie

Die Nutzung von Dasatinib oder Nilotinib in der Erstlinientherapie der CML ist bisher auf den Kontext von Phase II und Phase III-Studien begrenzt gewesen. In den Phase II-Studien von Nilotinib der GIMEMA CML-Arbeitsgruppe und dem M.D. Anderson Cancer Center (Houston, Texas) haben nur zwei Patienten einen Rückfall und eine Progression in die Blastenkrise erlitten, bei ihnen wurde eine T315I bzw. eine E255K-Mutation gefunden. Die anderen Untersuchungen haben nicht aufgeschlüsselt, ob die wenigen Patienten mit Rückfall positiv auf irgendeine BCR-ABL-KD-Mutation hin untersucht wurden. Tatsächlich, die beiden randomisierten Phase III-Studien haben das bestätigt, ist sowohl mit Dasatinib als auch mit Nilotinib die Dynamik des Ansprechens höher. Eine bessere Einschätzung des Wertes der Mutationsanalyse in dieser Umgebung erfordert mehr Daten und einen längeren Beobachtungszeitraum.

Wie nach BCR-ABL-KD-Mutationen gesucht wird

Die üblichen Methoden zur Mutationsanalyse (Direktsequenzierung und D-HPLC) sind relativ unempfindlich. Sie weisen Mutationen erst nach, wenn diese ungefähr in 20% der Ph-positiven-Zellen vorhanden sind. Die relative Unempfindlichkeit dieser Methoden stellt keine Einschränkung das, weil sich bisher der Nutzen von hochsensiblen Mutationsuntersuchungen sich in der klinischen Praxis als zweifelhaft erwiesen hat.  Retrospektive Untersuchungen von Patienten zum Diagnosezeitpunkt und in vollständiger zytogenetischer Remission haben gezeigt, dass nur in geringer Zahl auftretende mutierte Zellen sich nicht notwendigerweise durchsetzen und wieder verschwinden.Deren Entdeckung ist nicht immer mit einem anschliessenden Therapieversagen verbunden, weil unklar ist, ob diese mutierten Zellen repräsentativ für einen langfristig überlebensfähigemn Zellklon ist, der die unmutierten Zellen aus dem Feld schlagen kann.

Sollten BCR-ABL-KD-Mutationsergebnisse genutzt werden, um einen Therapiewechsel auszulösen? Wenn ja, immer oder in ausgewählten Fällen?

Wenn eine Mutationsanalyse entsprechend eines der in "Wann soll nach BCR-ABL-KD-Mutationen gesucht werden" spezifizierten Fälle mit den in "Wie nach BCR-ABL-KD-Mutationen gesucht wird" empfohlenen Methoden durchgeführt wurde, repräsentiert ein positives Ergebnis einen Hinweis für einen Wechsel der therapeutischen Strategie, wobei die Art der Mutation von Bedeutung ist.

Immer längere Listen, die das volle Repertoire der BCR-ABL-KD-Mutationen aufzählen, sind über die Jahre auf der Grundlage aller publizierten Untersuchungen Imatinib-resistenter Patienten zusammengestellt worden. Für die häufigsten Mutationen (M244V, G250E, Y253F/H, E255K/V, T315I, F317L, M351T, E355G, F359V und H369/R/P) wurden die IC50-Daten (mittlere hemmende Konzentration eines Wirkstoffs auf eine Zelllinie im Reagenzglas) veröffentlicht, und die verfügbare klinische Erfahrung lässt wenig Zweifel an einer ursächlichen Rolle in der Imatinib-Resistenz zu.

Wenn eine solche Mutation nachgewiesen wird, ist die Therapie mit Imatinib, zumindest mit der Standarddosis, nicht mehr ratsam. Viele andere Mutationen in diesen Listen sind ziemlich bis sehr selten, IC50-Daten sind nicht verfügbar, und ihre Unempfindlichkeit gegenüber Imatinib bleibt ohne weitere Daten nur Spekulation; die Autoren können die Möglichkeit, dass sie nur neben einem anderen unbekannten Resistenzmechanismus der Ph+-Klone entstehen, nicht ausschließen. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass konstitutionelle Polymorphismen einzelner Nukleotide (K247R, Y320C) in der Kinasedomäne gefunden wurden, die nicht für eine erworbene Resistenz verantwortlich gemacht werden können.

Deshalb sollte in Fällen seltener oder unbekannter Mutationen mit unbekannten IC50-Werten ein Therapiewechsel nur dann ausgelöst werden, wenn gleichzeitig suboptimales Ansprechen oder Therapieversagen nachgewiesen ist.

Sollten BCR-ABL-KD-Mutationsergebnisse verwendet werden, um den Zweitlinien-TKI oder das Folgemedikament auszuwählen? Wenn ja, immer oder in ausgewählten Fällen?

Die Detektion einiger spezifischer Mutationen beeinflusst die Auswahl der Zweitlinien- oder nachfolgenden Tyrosinkinasehemmern:

Offensichtlich zeigen Dasatinib und Nilotinib wegen ihrer unterschiedlichen chemischen Strukturen und Bindungsmechanismen unterschiedliche IC50-Werte (und unterschiedliche Vielfache des IC50 im Vergleich zu unmutiertem BCR-ABL)  für jede einzelne mutierte BCR-ABL-Form. Wenn eine bestimmte Mutation nachgewiesen wurde, ist die Versuchung gross, den Tyrosinkinasehemmer gezielt nach den IC50- Werten für diese Mutation auszuwählen; wenn möglich, wird der Tyrosinkinasehemmer mit dem tieferen IC50 ausgewählt.

Trotzdem empfehlen die Autoren den Ärzten, sich daran zu erinnern, dass die IC50-Tabellen kein perfektes Werkzeug für eine optimale Auswahl der Tyrosinkinasehemmer in Zweitlinie bzw. Folgemedikamente sind. Einerseits gibt es einen gewissen Zusammenhang zwischen den IC50-Werten für Dasatinib und Nilotinib für eine spezifische Mutation im Reagenzglas und im Patienten mit dem selben Mutanten. Die mit Mutationen mit höheren IC50-Werten zeigten geringeres hämatologisches und zytogenetisches Ansprechen als solche Mutationen mit tieferen IC50-Werten. Andererseits gibt es Mutationen, für die nur geringe Übereinstimmungen zwischen den IC50-Werten und den Ergebnissen bei Patienten in den Studien gefunden wurden.  

Wenn man die IC50-Werte für ein und dieselbe Mutation über verschiedene Berichte vergleicht, findet man Unterschiede bis zum 10fachen eines Wertes, was höchstwahrscheinlich an den unterschiedlichen experimentellen Methoden und Bedingungen zur Bestimmung der IC50-Werte liegt. Diese Unterschiede machen es aber für viele Mutationen schwierig, Vorhersagen über ihre Sensitivität gegenüber einem bestimmten Tyrosinkinasehemmer zu treffen. Außerdem werden IC50-Werte durch die Nutzung einer Modell-Zellinie abgeleitet. Das erlaubt nicht, das ganze Spektrum von Faktoren, die für die effektiv im Menschen erreichbare Wirkstoffkonzentration in der Zelle wie Absorption, Metabolismus, Verteilung in den Zellabteilen, Transport und Ausscheidung zu berücksichtigen. Diese Faktoren sind auch bis zu einem gewissen Grad von individuellen Unterschieden geprägt. Deshalb müssen sich Ärzte bewusst sein, dass die auf den IC50-Daten basierte Vorhersage, welcher Tyrosinkinasehemmer (Dasatinib oder Nilotinib) wirksamer sein wird, nicht immer zu den erwarteten Ergebnissen führen wird.

Schlussfolgerungen

In diesem Bericht haben die Autoren versucht, Empfehlungen für Ärzte bereitzustellen, wie BCR-ABL-KD-Mutationsanalysen am besten in die Behandlungsroutine von CML-Patienten integriert werden kann. Die Autoren erkennen an, dass die verfügbare Literatur noch nicht umfangreich genug ist, um alle Empfehlungen auf sichere Nachweise zu gründen. Der Leser muss deshalb darauf hingewiesen werden, dass die Empfehlungen hauptsächlich auf der Expertenmeinung der Mitglieder dieser Gruppe basieren.

Die Wahl der Zweitlinientherapie oder Folgemedikation muss aus einem Entscheidungsprozess resultieren, der verschiedene Faktoren wie die Krankengeschichte, Risikofaktoren und Begleiterkrankungen einschließt. Der Nachweis einiger spezifischer Mutationen (vor allem T315I) sollte Teil dieses Prozesses sein.

BCR-ABL-Mutationen stellen den am besten untersuchten Resistenzmechanismus bei Imatinib dar, sie sind aber nicht die einzige Resistenzursache. Tatsächlich ist die Häufigkeit, mit der Mutationen die Ursache der Imatinibresistenz ist, unterschiedlich in den verschiedenen Phasen der CML, von 25%-30% bei mit Imatinib als Erstlinientherapie behandelten Patienten in der frühen chronischen Phase bis hin zu 70%-80% der Patienten in Blastenkrise. Außerdem werden Mutationen häufiger bei Patienten mit erworbenen Resistenzen (d.h. Verlust des anfänglichen Ansprechens)  als in Fällen primärer Resistenzen (d.h. unzureichendes Ansprechen nach Therapiebeginn) festgestellt. Bei Patienten ohne nachweisbare Mutationen werden andere Resistenzmechanismen festgestellt oder vermutet. Es ist außerdem vorstellbar, das bei einem Teil der Fälle mehrere Faktoren zusammengenommen zur Resistenz führen. Die Autoren können nicht ausschließen, dass Mutationen bei einigen Patienten an der Resistenz unbeteiligt sein können und nur zufällig auch auftreten.

Allerdings ist dies in Gegenwart von gegen Imatinib hochresistenten Mutationen unwahrscheinlich, für die ein molekularer Resistenzmechanismus postuliert wurde (z.B. T315I, P-Loop-Mutationen, F359V), aber es könnte der Fall bei selteneren Mutationen sein, über die weniger Informationen vorliegen. Deshalb empfehlen die Autoren, eine Änderung der Therapie nur auf Grund von Beweisen für das Therapieversagen oder suboptimales Ansprechen auf Imatinib vorzunehmen. Es ist wichtig, was auch immer der Beitrag der Mutation zur Resistenz eines Phänotyps sei, die Gegenwart der Mutation nicht zu übersehen: Mutationen können ein Zeichen genetischer Instabilität sein, und diese genetische Instabilität ist der Antrieb für das Fortschreiten der Krankheit in Richtung einer aggressiveren Form.



Quelle: BCR-ABL kinase domain mutation analysis in chronic myeloid leukemia patients treated with tyrosine kinase inhibitors: recommendations from an expert panel on behalf of European LeukemiaNet. Simona Soverini, Andreas Hochhaus, Franck E. Nicolini, Franz Gruber, Thoralf Lange, Giuseppe Saglio, Fabrizio Pane, Martin C. Müller, Thomas Ernst, Gianantonio Rosti, Kimmo Porkka, Michele Baccarani, Nicholas C. P. Cross and Giovanni Martinelli. Blood 2011 118: 1208-1215, Vorab online veröffentlicht am 11. Mai 2011, doi:10.1182/blood-2010-12-326405. Übersetzung in Auszügen durch Niko und Jan, ohne Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit

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