Blood-Journal ELN CML EmpfehlungenDie steten Fortschritte der Behandlung der CML erfordern die regelmäßige Aktualisierung der Therapiekonzepte. Ein Expertengremium des Europäischen Leukämienetzes ELN hat alle relevanten früheren und neu hinzugekommenen Studien geprüft, um die im Jahr 2006 und 2009 veröffentlichten CML-Therapieempfehlungen zu aktualisieren. Die nun erschienene dritte Aktualisierung war erforderlich, weil seit 2009 die Arzneimittel Dasatinib und Nilotinib neben Imatinib als Erstlinientherapie etabliert wurden, zusätzlich nun Bosutinib (und bald Ponatinib) für die Zweitlinientherapie zur Verfügung stehen, aber auch neue Erkenntnisse bezüglich der Bedeutung eines frühen Therapieansprechens nach 3 und 6 Monaten Einfluss auf die Therapieplanung haben sollten.

Die neuen ELN-Empfehlungen diskutieren die Eigenschaften der heute verfügbaren Tyrosinkinasehemmer und geben Empfehlungen, welche in Erst- und Zweitlinientherapie eingesetzt werden sollten, und nennt die wichtigsten Meilensteine der Therapien. Weiterhin wird das beste Vorgehen der diagnostischen Verlaufskontrolle, die Interpretation der molekularen und zytogenetischen Tests sowie der Mutationsanalyse, die Bedeutung von Nebenwirkungen und die Rolle der Stammzelltransplantation diskutiert.

Optimales Ansprechen und Therapieversagen
Verlaufskontrolle
Wahl der CML-Therapie in chronischer Phase
Nebenwirkungen
Therapiestopp, Schwangerschaft

 Optimales Ansprechen und Therapieversagen

Nach den neuen Expertenempfehlungen wird das Ansprechen in der Erstlinientherapie nach Diagnosestellung nun mit standardisierter RQ-PCR sowie mit Zytogenetik zum Zeitpunkt von 3, 6 und 12 Monaten bewertet. BCR-ABL-Werte  von höchstens 10% nach drei Monaten, weniger als 1% nach 6 Monaten und höchstens 0,1% nach 12 Monaten gelten nun als optimales Ansprechen. Mehr als 10% BCR-ABL nach 6 Monaten oder mehr als 1% nach 12 Monaten gelten als Therapieversagen, d.h. ein Wechsel der Therapie wird dann empfohlen, um das Risiko von Krankeitsfortschritt und Tod zu verringern. Zwischen optimalem Ansprechen und Therapieversagen liegt eine "Warnzone", in der eine häufigere Verlaufskontrolle empfohlen wird.


OPTIMALES ANSPRECHEN

WARNUNG

THERAPIEVERSAGEN

Zum Diagnose-
Zeitpunkt

 --

- Hochrisiko, oder

- Zusätzliche bedeutende Chromsomen-
veränderungen in Ph-positiven Zellen

--

nach 3 Monaten

BCR-ABL ≤  10%  und/oder
Ph-positive Zellen ≤ 35%

BCR-ABL > 10%, und/oder
Ph-positive Zellen 36-95%

Keine komplette hämatologische Remission, und/oder
Ph-positive Zellen > 95%

nach 6 Monaten

BCR-ABL < 1%  und/oder
Ph-positive Zellen = 0

BCR-ABL 1-10%, und/oder
Ph-positive Zellen 1-35%

BCR-ABL > 10%,  und/oder
Ph-positive Zellen > 35%

nach 12 Monaten

BCR-ABL ≤ 0,1% 

BCR-ABL 0,1-1 %

BCR-ABL > 1%, und/oder
Ph-positive Zellen ≥ 1%

Danach,
oder zu jeder Zeit

BCR-ABL ≤ 0,1%

Zusätzliche bedeutende Chromsomen-
veränderungen in Ph-negativen
Zellen
- (Auslöschung von Chromosom 7, oder Veränderung von Chromosom 7)

Verlust der kompletten hämatologischen Remission

Verlust der kompletten zytogenetischen Remission

In zwei aufeinanderfolgenden Tests bestätigter Verlust der majoren molekularen Remission (MMR, BCR-ABL ≤ 0.1%)

Mutation

Zusätzliche bedeutende Chromsomen-
veränderungen in Ph-positiven Zellen

 

 

 Patienten mit optimalem Ansprechen sollten die Therapie dauerhaft mit sorgfältiger Beobachtung fortsetzen, und können bei Erreichen eines tiefen molekularen Ansprechens in klinische Studien zum Therapieestopp aufgenommen werden. Es wird betont, dass eine majore molekulare Remission (MMR, BCR-ABL <0,1%) als ein optimales Ansprechen in Bezug auf Überleben betrachtet wird, eine tiefere Remission aber sehr wahrscheinlich für ein erfolgreiches Absetzen der Therapie erforderlich ist.

 Verlaufskontrolle

Die Verlaufskontrolle kann entweder durch molekulare (PCR) oder zytogenetische (Knochenmark) Tests erfolgen.

Falls zytogenetische Tests (Untersuchungen des Knochenmarks) genutzt werden, sollte diese nach 3, 6 und 12 Monaten durchgeführt werden, bis eine komplette zytogenetische Remission erreicht ist, dann alle 12 Monate. Nach 12 Monaten, wenn eine majore molekulare Remission (MMR, BCR-ABL (IS) <0,1%), kann das Ansprechen per PCR alle 3-6 Monate untersucht werden. Zytogenetik wird nur benötigt im Fall des Therapieversagens oder wenn standardisierte PCR nicht verfügbar ist.

Molekulare Tests per RQ-PCR sollten mindestens alle drei Monate erfolgen, bis mindestens eine majore molekulare Remission (MMR, BCR-ABL IS 0,1%) erreicht ist, danach mindestens alle 3-6 Monate. Es ist wichtig zu verstehen, dass es durchaus normal ist, dass die PCR-Werte über die Zeit hoch und runter schwanken, was teilweise der Labortechnik geschuldet ist. Wenn die PCR-Werte um Faktor 5 in einer einzelnen Untersuchung gestiegen sind und MMR (0,1%) dabei überschritten wurde, sollte der Test in einer kürzeren Zeitfrist wiederholt werden, und Patienten sollten zur Therapietreue befragt werden.

Die neuen ELN-Empfehlungen definieren molekulare Remissionen nach folgenden Kriterien:

Die Experten empfehlen, den Begriff "komplette molekulare Remission" (CMR) zu vermeiden, sondern durch "molekular nicht nachweisbare Leukämie" zu ersetzen, unter Angabe, wieviele der Kontrollgenkopien in der PCR beim jeweiligen Test gezählt werden konnten.

Chromosomenveränderungen in Ph-negativen Zellen, die bei etwa 10% von Patienten auftreten, werden nur als Warnzeichen gesehen, wenn das Chromosom 7 involviert ist. Im Fall von Warnzeichen wird empfohlen, alle Tests (zytogenetisch und molekular) häufiger zu wiederholen, ggf. monatlich. Im Falle eines Therapieversagens oder einer Progression in akzelerierte Phase oder Blastenkrise sollte eine zytogenetische Untersuchung, PCR und Mutationsanalyse durchgeführt werden.

 Wahl der CML-Therapie in chronischer Phase

In Erstlinie besteht die Wahl zwischen drei zugelassenen Tyrosinkinasehemmern. Die Dosierungen sind 400mg einmal täglich für Imatinib, 300mg zweimal täglich für Nilotinib, und 100mg einmal täglich für Dasatinib. Höhere Dosen wurden bei allen drei Arzneimitteln getestet, aber ein Therapievorteil wurde nur in einer Studie mit Imatinib nachgewiesen.

Es gibt keine anerkannten und soliden Kriterien, die für die Therapiewahl empfohlen werden können. Vorläufige klinische Krierien können die Eigenschaften der Erkrankung (Hochrisiko und zusätzliche Chromosomenveränderungen bei Philadelphia-Chromosom-positiven Zellen), sowie der Zusammenhang von patientenbedingten (Zweiterkrankungen) und arzneimittelbedingten (übliche Nebenwirkungen) Faktoren sein.

In Zweitlinie wird ein Wechsel des Arzneimittels der Erhöhung der Imatinib-Dosis vorgezogen. Der Wechsel von einem Tyrosinkinasehemmer zum anderen muss immer Vorhandensein und Art von Mutationen, die Nebenwirkungen der vorhergehenden Tyrosinkinasehemmer, und die relevanten Zweiterkrankungen einbeziehen.

Die Definition von Unverträglichkeit kann manchmal objektiv und evidenzbasiert, aber manchmal auch subjektiv und damit Kritik ausgesetzt sein. Erfahrung und Gefühl legen nahe, dass ein Patient, der einen Tyrosinkinasehemmer nicht verträgt, leicht auf einen anderen Tyrosinkinasehemmer ansprechen kann, während ein Patienten, bei dem ein Tyrosinkinasehemmer fehlschlug und der einen anderen nicht verträgt, einem beträchtlichem Risiko des Therapieversagens ausgesetzt ist.

Empfehlungen für allogene Stammzelltransplantation basieren auf den Ergebnissen von HLA-identischen Familienspendern oder HLA-kompatiblen Fremdspendern und weiteren Faktoren. Der EBMT-Risikoscore ist weiterhin wertvoll, auch wenn die Anzahl von Patienten, die in den vergangenen Jahren und nach TKI-Therapie transplantiert wurden, nicht ausreicht, um eine robuste Analyse zu erlauben.

Zusammenfassung der Therapieempfehlungen der Experten

Erstlinie: Therapie direkt nach Diagnosestellung.
Zweitlinie: Auf Erstlinientherapie folgende Therapie (z.B. nach Therapieversagen oder Unverträglichkeit)
Drittlinie: Auf Zweitlinie folgende Therapie (z.B. nach Therapieversagen oder Unverträglichkeit)

 Nebenwirkungen

Die Tyrosinkinasehemmer haben verschiedene Muster von Nebenwirkungen, und diese sollten bei der Therapiewahl berücksichtig werden. Nebenwirkungen können in drei Kategorien unterteilt werden:

  1. Größere, starke Nebenwirkungen, die üblicherweise in der ersten Therapiephase auftreten, die behandelbar sind, aber zeitweilige Therapieunterbrechung oder Dosisreduktion erfordern. Diese führen bei 10% der Patienten zum Therapieabbruch.

  2. Niedriggradige Nebenwirkungen, die schon früh nach Therapiestart beginnen und die möglicherweise für immer weiterbestehen und chronisch werden. Diese sind prinzipiell auch behandelbar und verträglich, beeinflussen die Lebensqualität aber negativ, und sind daher ein Grund für verringere Therapietreue, die ein Hauptgrund für Therapieversagen ist. Viele dieser Nebenwirkungen sind häufig bei allen Tyrosinkinasehemmern, mit Unterschieden in Häufigkeit und Schwere, so dass manche Patienten von einem Tyrosinkinasehemmer-Wechsel profitieren können.

  3. Späte, "off-target"-Komplikationen die das Herz-Kreislaufsystem, Herz und Blutgefäße, das Atmungssystem, Leber, Bauchspeicheldrüse, Immunabwehr, Zweitkrebserkrankungen, Kalziumwerte, Blutzucker und Fettstoffwechsel beeinflussen.

Alle Tyrosinkinasehemmer können das Herz beeinflussen und sollten bei Patienten mit Herzvorerkrankungen mit großer Sorgfalt eingesetzt werden. Unter Nilotinib wird besonders ein Zusammenhang mit arteriellen Vorerkrankungen erwähnt. Dasatinib wird insbesondere bei Komplikationen mit Brustfell und Lunge erwähnt. Erfahrungen mit Bosutinib und Ponatinib sind noch dürftig. Insgesamt sind die Langzeit-Nebenwirkungen bzw "Off-Target-Komplikationen" der Zweitgenerationsmedikamente bisher nicht vollständig durchdrungen und bewertbar. Da diese ein potentieller Grund für Morbidität und Sterblichkeit sein könnten, ist eine dauerhafte klinische Verlaufskontrolle aller Patienten erforderlich.

 Therapiestopp, Schwangerschaft

Aktuell empfehlen die ELN-Experten einem Patienten mit optimalem Ansprechen auf die Therapie eine unbegrenzte Weiterführung der Therapie mit der Standarddosis. Auch wenn etwa 40% der Patienten in tiefer molekularer Remission in eng kontrollierten klinischen Studien erfolgreich absetzen konnten, sind die Daten heute noch unzureichend, um eine Empfehlung des Absetzens außerhalb von durchdachten, prospektiven, kontrollierten klinischen Studien auszusprechen. Entsprechende Studien werden aktuell durchgeführt, und auch andere Ansätze wie der zyklische Einsatz von Imatinib werden momentan geprüft, sollten aber nicht außerhalb von Studien durchgeführt werden.

Absetzen könnte auch außerhalb von Studien erwogen werden, wenn hochqualitatives, zertifiziertes Monitoring in monatlichen Intervallen sichergestellt ist. Dies könnte insbesondere relevant für Frauen im gebärfähigen Alter sein, die ein optimales Ansprechen erreicht haben, weil eine Empfängnis und Schwangerschaft während Tyrosinkinasehemmer-Therapie kontraindiziert ist. Bei diesen Patientinnen kann, wenn die optimale Remission seit mindestens zwei Jahren stabil ist,  TKI-Absetzen mit oder ohne Einsatz von Interferon alpha nach eingehender Beratung und sehr häufiger molekularer Verlaufskontrolle in Erwägung gezogen werden.

Quelle

Übersetzung von Jan in Auszügen aus: Blood Journal, doi: 10.1182/blood-2013-05-501569

European LeukemiaNet recommendations for the management of chronic myeloid leukemia: 2013

Michele Baccarani, Michael W. Deininger, Gianantonio Rosti, Andreas Hochhaus, Simona Soverini, Jane F. Apperley, Francisco Cervantes, Richard E. Clark, Jorge E. Cortes, François Guilhot, Henrik Hjorth-Hansen, Timothy P. Hughes, Hagop M. Kantarjian, Dong-Wook Kim, Richard A. Larson, Jeffrey H. Lipton, François-Xavier Mahon, Giovanni Martinelli, Jiri Mayer, Martin C. Müller, Dietger Niederwieser, Fabrizio Pane19, Jerald P. Radich, Philippe Rousselot21, Giuseppe Saglio, Susanne Saußele, Charles Schiffer, Richard Silver, Bengt Simonsson, Juan-Luis Steegmann, John M. Goldman, Rüdiger Hehlmann

Erschienen online am 26. Juni 2013

 

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Jan Geissler
Hallo Cornelia, nein, die Empfehlungen beziehen sich auf CML bei Erwachsenen
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Cornelia
Hallo Jan, gelten diese Therapieempfehl ungen so auch für Kinder und Jugendliche?
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Jonathan
Hallo Jan, ja, so ist es übersichtli cher! Vielen Dank!
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Jan Geissler
Hallo Jonathan, da hast Du recht, ich habe den Teil "Zusammenfassung der Therapieempfehl ungen" nochmal überarbeite t, da er tatsächlich etwas durcheinander war. Paßt es so? Eine Tabelle wäre etwas schwierig darzustellen, weil die T315I-Sektion da nicht so gut dazu passen würde.

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Jonathan
Danke für die den Artikel bzw. für die Zusammenfassung und Übersetzung !
Der Abschnitt "Zusammenfassung der Therapieempfehl ungen der Experten" scheint mir noch ein bisschen durcheinander zu sein, die Gliederung ist da nicht ganz klar. Könnte man das nicht auch in Form einer Tabelle, ähnlich wie die Ansprechkriteri en, bringen?"

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