Britische Studie über den Nutzen neu zugelassener Medikamente

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jan
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Re: Britische Studie über den Nutzen neu zugelassener Medikamente

Beitrag von jan » 15.03.2018, 15:39

Thomas55 hat geschrieben:
15.03.2018, 14:55
Was die Sendung klar gemacht hat, : es geht um riesige finanzielle Summen. Plötzlich bekommen Cll-Medikamente, den Orphan-Drug Status, obwohl die Cll die häufigste Erwachsenenleukämie ist, und es ist nicht so, dass nur Cll-Patienten mit einem seltenem Gen-Status mit diesen Medikamenten behandelt werden (Ibrutinib/Idealisib). Wie kann das sein, wer legt das fest, wie ist da die politische Macht verteilt, oder ist die Politik machtlos.
Die Kriterien für einen Orphan-Status (seltene Erkrankung) ist international von FDA und EMA klar festgelegt - wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen sind, gilt sie als selten. Zusätzlich gibt es eine Orphan Designation nur dann, wenn sie eine lebensbedrohliche oder chronisch stark beeinträchtigende Krankheit behandelt, und wenn bisher keine ausreichenden Methoden zur Diagnose, Prävention oder Behandlung der Erkrankung existieren.

Deutsch:
https://www.eupati.eu/de/glossary/seltene-krankheit/

Englisch, etwas ausführlicher:
https://www.eupati.eu/glossary/orphan-designation/

Die CLL ist zwar eine der häufigsten Leukämien bei Erwachsenen, und die Prävalenz (Anzahl der Betroffenen Personen) steigt auch, weil die CLL nicht so direkt und schnell lebensbedrohlich wie andere Krebsarten ist und daher langsam mehr CLL-Patienten dazukommen als daran versterben, aber die Häufigkeit ist nur relativ, denn alle Leukämien und Lymphome sind nach obiger Definition seltene Erkrankungen. Von den etwa 200 Krebserkrankungen gelten etwa 20 als häufig (common cancers) and 180 als selten (rare diseases/cancers) - das sind die Daten aus den Krebsregistern, z.B. rarecare.eu, definiert nach dem "Schwellwert" 5 pro 10.000. Die CLL liegt glaube ich bei etwa 3 CLL-Patienten pro 10.000 Menschen, die CML bei etwa 1.5 pro 10.000.

Und ja, es geht um viel Geld, bei allen Arzneimitteln, ob bei seltenen oder häufigen Erkrankungen. Und es geht um viel Geld verdienen (Industrie, Ärzte, Funktionäre) oder sparen (Krankenkassen, Steuerzahler, Praxis-Kassenbudgets, Krankenhausbudgets), und voilá, da ist die Politik.

Viele Grüße
Jan

Thomas55
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Re: Britische Studie über den Nutzen neu zugelassener Medikamente

Beitrag von Thomas55 » 15.03.2018, 14:55

Hallo Jan,
...mir ging es weniger um die Sendung selbst, sondern eher um die Studie bezw. Links die ja auf der Plus-Minus Seite verlinkt sind.
Was mir immer wieder aufstößt, auch auf Patientenkongressen und selbst auf von mir veranstalteten Vorträgen unserer SHG ist, dass die Lebensqualität und die Nebenwirkungen neuer Therapien sehr oft zu kurz kommen oder auch gar nicht erwähnt werden. Da wird hauptsächlich das PFS verglichen, das aber nichts über eine Lebensverlängerung und -qualität aussagt. Tatsächlich gibt es für die Cll bisher nur einen Chemo/Antikörperkombi die eine Lebensverlängerung nachweist (ist bei der CML sicher anders, auch ist es durch die lange Laufzeit der Cll schwierig das nach zu weisen). Bei mir hat z.B. das PFS in den 21 Jahren nie eine Rolle gespielt, ich überlebte mit einer eher palliativen, symptomorientierten Strategie wesentlich länger als zu erwarten war.
Ich bin froh dass es (dank unserer Gebühren) noch solche Sendungen gibt, empfinde sie nicht als einseitig populistisch, stecke aber natürlich nicht so intensiv im Thema wie Du. Was die Sendung klar gemacht hat, : es geht um riesige finanzielle Summen. Plötzlich bekommen Cll-Medikamente, den Orphan-Drug Status, obwohl die Cll die häufigste Erwachsenenleukämie ist, und es ist nicht so, dass nur Cll-Patienten mit einem seltenem Gen-Status mit diesen Medikamenten behandelt werden (Ibrutinib/Idealisib). Wie kann das sein, wer legt das fest, wie ist da die politische Macht verteilt, oder ist die Politik machtlos. Meine Sorge ist da, wie lange kann sich die Gesellschaft leisten alle Patienten gleich (gut) zu behandeln ? Eine (nicht mehr neue) interessante Diskussion, wo ich aber den Eindruck habe dass sich aber nichts tut ....
Gruß
Thomas

jan
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Re: Britische Studie über den Nutzen neu zugelassener Medikamente

Beitrag von jan » 15.03.2018, 12:38

Hallo Thomas

die Argumente aus dem Artikel und auch die immer wiederkehrenden Argumente von Herrn Prof Ludwig sind nicht neu. Im Grunde geht das Ganze wieder auf die Grunddiskussion zurück, was uns als Patienten wichtig ist.

Richtig ist, dass die Lebensqualitätdaten der heute in Zulassung befindlichen Studien unzureichend sind, weil die Studien, die vor 5-7 Jahren geplant wurden, leider nur sehr rudimentäre und oft auf die spezifische Erkrankungssymptomatik und Therapienebenwirkungen nicht abgestimmte Instrumente zur Lebensqualitätsmessung (bzw "Patient Reported Outcomes / PRO-Instrumente") einsetzen. Die Firmen reden sich dabei raus, dass die Zulassungsbehörden geforderten PRO-Instrumente wie EQ5D bevorzugen, die aber über Symptome und vergleichende Lebensqualität zwischen verschiedenen Therapien praktisch gar keine brauchbare Aussage zulassen - und teilweise stimmt dies auch, weil die Regulierer diese simplen PRO-Tools aus technischen Gründen bevorzugen, teilweise ist dies eine billige Ausrede der Unternehmen, nicht mehr in vernünftige Lebensqualitätdaten investiert zu haben und alle Forschungsaktivität auf bessere Wirksamkeit ("Efficacy") fokussiert zu haben. Teilweise gab es aber auch symptom/therapiespezifische PRO-Tools vor 5-7 Jahren noch nicht und diese werden erst heute in den Studien eingesetzt, die eben erst in einigen Jahren Ergebnisse an die Behörden liefern werden.

Was aber bösartige Interpretation ist, ist, dass die Medikamente alle keine Lebensqualitätsverbesserung bringen. Aus fehlenden Daten kann man nicht schließen, dass es keine Verbesserung oder Verschlechterung gibt, sondern dann man keine Aussage dazu treffen kann. Und die Datenlage zur Lebensqualität ist dünn, die Messung vernachlässigt, die verwendeten Instrumente teilweise unbrauchbar.

Die Prioritäten von Patienten sind sehr unterschiedlich. Für manchen Patienten ist die Lebenszeitverlängerung das primäre Ziel, egal wie groß der Preis an akuten Nebenwirkungen ist, für manche sind chronische Nebenwirkungen mehr akzeptabel als für andere, für andere ist die Verschiebung einer Progression und ein "normales Leben" ein ebenso erstrebenswertes Ziel, auch wenn es dann am Ende schneller ginge wie ohne Therapie. Frage mal einen Patienten mit metastasiertem Hautkrebs, was mehrere Monate progressionsfreiheit für ihn/sie bedeutet, selbst wenn die restliche Lebenszeit nicht steigen sollte - unter der Annahme, dass es nicht mehrere sequentielle Therapien gibt, die vielleicht sogar as Langzeitüberleben verlänfgern. Für manche Patienten ist kurzfristige Nebenwirkungsfreiheit das Primärziel, selbst wenn dadurch die restliche Lebenserwartung sinkt. Genau dafür braucht man belastbare Daten bzgl Gesamtüberleben (OS), progressionsfreies Überleben (PFS), Lebensqualität (Health Related Quality of Life / HRQoL) oder anderen patientenrelevanten Ergebnissen (Patient Relevant Outcomes), und entsprechende Patientenpräferenzstudien, um nachzuweisen, welche Patientensubgruppen welche Präferenzen haben. Natürlich ist Lebensverlängerung ein sehr wichtiges Ziel, aber es ist nicht der heilige Gral, sondern ein wichtiges Ziel unter mehreren.

Der einseitige Populismus in diesen Sendungen geht mir aber ziemlich auf den Geist, denn er verfolgt nur strukturpolitische und persönliche Ziele, statt sich mit den Patientenpräferenzen und der Verbesserung von Studiendesigns und patientenrelevanten Endpunkten vernünftig auseinanderzusetzen. Über schlechte Daten kann man meckern und diese lautstark ablehnen, aber es wird einfach zu wenig investiert, gute Daten (abseits von Gesamtüberleben, d.h. Studientherapie bis zum Tod) zu generieren mit Outcomes, die für Patienten wirklich zählen. Und Gesamtüberlebenszeit ist nicht das einzige Ziel.

Viele Grüße
Jan

Thomas55
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Britische Studie über den Nutzen neu zugelassener Medikamente

Beitrag von Thomas55 » 15.03.2018, 10:44

Ich setze mal hier diesen Link, zur gestrigen Sendung von Plus Minus : http://www.daserste.de/information/wirt ... l-100.html. Interessant finde ich vor allem die dort aufgeführten direkten Links auf die weiterführende Seiten, leider in englisch. (Wenn man die medizinischen Fachbegriffe einigermaßen kennt, ist auch die Google-Übersetzung solcher Seiten inzwischen recht gut)
Als langjähriger Cll-Patient erlebte ich die großen Erwartungen und den Hype um die neuen Medikamente - vor allem Kinasehemmer und staunte immer wieder mal über deren Preise. Führende Cll-Forscher wie Thomas Kipps, gingen noch vor kurzem davon aus, dass mit den neuen Medikamenten auf Chemos verzichtet werden kann und eine normale Lebenserwartung bei wenig Nebenwirkungen zu erwarten ist. (Was bei den meisten CML Patienten ja auch eingetreten ist)
Die Erfahrungen in unserer Selbsthilfegruppe - die natürlich nicht verallgemeinert werden kann - sind leider anders : so sind z.B. 3 von 7 Cller die Ibrutinib erhielten trotzdem verstorben. Zwischenzeitlich werden wieder verstärkt Chemos eingesetzt oft kombiniert mit Kinasehemmern.
Mir ist bei der Cll immer noch nur eine einzige Studie bekannt, die für einen kleinen Patiententeil eine Lebensverlängerung nachweist (FCR)....
Was meint Ihr zu diesem Thema ?
Gruß
Thomas

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